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Der Stein der Höhen. 200 Jahre Repère Pierre du Niton

Die Schweizer Bezugshöhe Repère Pierre du Niton RPN im Genfer Seebecken blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Wie entwickelte sich der Pierre du Niton von einem wasserumspülten Felsen zur Heimat der wichtigsten Höhenmarke der Schweiz?

01.09.2020 | frf

RPN Grundriss

Von Weitem ähneln sie Walen, deren Rücken aus dem Wasser ragen. Aus der Nähe betrachtet offenbaren sich die beiden Objekte im Genfer Hafenbecken jedoch als gräuliche Felsbrocken. Der Pierre du Niton und der Pierre Dyolin gehören fest zum Genfer Stadtbild; mit ihrem prominenten Erscheinen im seichten Wasser stellen sie natürliche Orientierungspunkte dar.

Die beiden Granitsteine lagen nicht immer so unbeirrbar im Genfersee. Sie entstanden vor gut 300 Millionen Jahren und legten eine weite Wanderung zurück: Der Rhonegletscher hatte sie in der letzten Eiszeit vom östlichen Mont Blanc-Massiv an ihren heutigen Standort gebracht. Der Pierre du Niton und der Pierre Dyolin sind Findlinge.

Bereits in der Antike zogen die von Wasser umspülten Felsen die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich. Ein 20 auf 40 cm grosses und 20 cm tiefes Rechteck auf dem Rücken des Pierre du Niton legt nahe, dass der Stein von antiken Keltenstämmen als Altar genutzt wurde.

 

PierreDuNiton
Seit mehr als 150 Jahren ist der Pierre du Niton der Höhenausgangspunkt der Schweiz

Streit am Genfersee

Im Jahr 1820 schrieben sich Menschen abermals in den Pierre du Niton ein. Dieses Mal ging es aber nicht um Götterverehrung, sondern um einen Streit unter Eidgenossen: Pfähle, Dämme und Industrieanlagen, so der Vorwurf der Kantone Waadt und Wallis, blockierten den Abfluss der Rhone in Genf so sehr, dass sie wiederholt Überschwemmungen in den Uferbereichen des Genfersees verursachten.

Um den Streit zu schlichten, entschied sich Guillaume Henri Dufour – damals noch Genfer Stadt- und Kantonsingenieur – im Jahr 1820 für eine genaue Überwachung des Wasserpegels im Genfer Seebecken. Zu den Massnahmen gehörte unter anderem das Anbringen einer kreisrunden Pegelmarke mit einem Durchmesser von 85 mm auf dem Rücken des Pierre du Niton. Sie sollte es erleichtern, den Wasserstand am Rhoneausfluss zu beobachten.

Mit französischer Hilfe zum Höhenpunkt

Als der Pierre du Niton Ende der 1820er Jahre seine erste absolute Höhe erhielt, war dies ein Nebenprodukt grosser Anstrengungen. Zwar liessen sich durch Winkelmessungen die Höhenunterschiede zwischen einzelnen Punkten innerhalb der Schweiz bestimmen, doch war deren Höhe über dem Meer unbekannt. Weil die Schweiz ein Binnenland war, mussten die Meereshöhen vom Ausland – genauer: aus Frankreich – in die Schweiz kommen.

Bereits 1803/1804 hatten Napoleons Ingenieur-Geografen ein Triangulationsnetz von Strassburg über die Jurakette und Voralpen bis zur Erhebung «les Voirons» östlich von Genf vermessen und dabei mehrere Koten in der Schweiz bestimmt. In den 1820er Jahren spannte Frankreich zudem eine Triangulationskette vom Atlantik bis an die westlichen Grenzregionen der Eidgenossenschaft. Auch diese Messungen bestimmten die Höhen einiger Punkte in der Schweiz.

Scanned Image
Der Méridienne de Strasbourg (1803/1804). Er brachte absolute Höhen in die Schweiz

Im Rahmen dieser Bemühungen ermittelte der französische Ingenieur-Geograf Charles-Marie Filhon (1790–1857) Ende der 1820er Jahre auch eine Höhenangabe für die Pegelmarke auf dem Pierre du Niton; 1832 wurde sie publiziert. Die kreisrunde Scheibe lag gemäss Filhons Berechnungen 376.55 m über dem Meeresspiegel des Atlantiks. Mit der absoluten Höhe schrieb der Franzose dem Findling, Altar und Pegelindikator eine weitere Bedeutung ein: Er war nun auch einer der wenigen Punkte der Eidgenossenschaft, deren absolute Höhe zuverlässig bestimmt war.

Auf seine bis heute anhaltende Sonderstellung als Heimat der Schweizer Bezugshöhe musste der Fels im Genfer Seebecken jedoch noch einige Jahrzehnte warten. Für die Koten der Dufourkarte galt noch der Mittelwert zweier französischer Höhenmessungen des Chasserals als Bezugshöhe (1609.57 m ü. M.). Sie wurde 1840 vom Astronomen und Geodäten Johannes Eschmann festgelegt.

In Kürze

Die Geschichte der Marke auf dem Pierre du Niton
Funktion Bestimmungsjahr Höhe in m ü. M. Urheber
Pegelmarke 1820 - G. H. Dufour
Höhenkote 1832 376.52 C.-M. Filhon
Bezugshöhe 1879 376.86 H. Siegfried
Bezugshöhe 1902 373.6 J. Hilfiker

Adelung zum Höhenausgangspunkt

Der frühe Schweizer Bundesstaat entwickelte sich rasant. Mit dem Boom in Wirtschaft, Kultur und Tourismus war der Ruf nach möglichst exaktem Raumwissen verbunden – auch in Bezug auf die Höhen und Tiefen des Landes. Die 1861 gegründete Geodätische Kommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft widmete sich ab 1864 der Höhenfrage und beschloss, ein Nivellement de Précision (NdP) durchzuführen. Im Vergleich zu Höhenbestimmungen durch Triangulationen, wie sie bis dahin in der Schweiz üblich waren, war die Technik des Nivellements weitaus exakter.

Die Bronzemarke des Pierre du Niton fungierte im ersten Schweizer Nivellement als Ausgangspunkt. Sie löste damit den Triangulationspunkt auf dem Chasseral ab und wurde zu einem Dreh- und Angelpunkt der Landesvermessung. Die Höhe der Marke legte Hermann Siegfried (1819–1879), Dufours Nachfolger, im Jahr 1879 offiziell auf 376.86 m. ü. M fest. Er leitete dies auf umstrittene Weise von der Chasseral-Kote Eschmanns ab, deren Genauigkeit bereits zu Dufours Zeiten in Zweifel gezogen wurde.

Der Wert von 376.86 m ü. M. diente als Bezugshöhe für alle Koten und Höhenkurven der Siegfriedkarte, der Nachfolgerin der Dufourkarte. Unter Berücksichtigung der Meeresanschlüsse der Nachbarländer, insbesondere des französischen Nivellements von Marseille aus, ermittelte der Geodät Jakob Hilfiker (1851–1913) im Jahr 1902 jedoch eine neue, korrektere Höhenangabe für die Marke auf dem Findling. Der Wert, der aus seinen Berechnungen entstand, belief sich auf 373.6 m ü. M. Dieser «Neue Horizont» gilt seit 1910 als gesetzlich festgelegter Ausgangswert und seit den 1930er Jahren als Bezugshöhe des Landeskartenwerks, das die Siegfriedkarte ablöste.

Findling, Pegelmarke, Bezugshöhe

Das bronzene Rund auf dem Pierre du Niton entwickelte sich von einer Pegelmarke (1820) zum Horizont der Schweiz (1879). Die Bedeutung, die dem Höhenausgangspunkt bis heute innewohnt, zeigte sich beim Übergang von der Siegfried- zur Landeskarte. Durch den Wechsel vom alten zum neuen Horizont wurde die gesamte Schweiz gut drei Meter tiefergelegt.

In den vergangenen 200 Jahren entfalteten markante Landschaftselemente in ihrer neuen Rolle als geodätische Punkte eine beinahe unsichtbare, aber grosse Wirkung. Der Pierre du Niton, der vor rund 300 Millionen Jahren im heutigen Mont Blanc-Massiv entstanden war, den Kelten als Altar diente und als Pegelmarke einen Streit der Genfersee-Anrainer zu schlichten versuchte, ist das vielleicht eindrücklichste Zeugnis dieser Entwicklung.

Im Jubiläumsband «Die Schweiz auf dem Messtisch. 175 Jahre Dufourkarte» (2020) erläutert swisstopo-Geodät Andreas Schlatter im Detail, wie die Höhen in die Schweiz kamen. Auch sechs weitere spannende Artikel zum Verhältnis von Karten und Geschichte erwarten Sie in diesem Buch.

Das Buch kann hier bestellt werden.


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