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Eine Debatte über das Licht in der Karte

Ende der 1920er Jahre stiess der Geologe Albert Heim einen Briefwechsel an. Experten diskutierten die Frage, aus welcher Richtung die Schweizer Landeskarten beleuchtet sein sollten.

01.02.2023 | Felix Frey

Relief Flühli 1948
Relief "Flühli", 1948 (swisstopo Bildsammlung)

Im Jahr 1927 veröffentlichte der Geologe und emeritierte ETH-Professor Albert Heim (1849–1937) einen Artikel mit dem Titel «Die Beleuchtung in der Landkarte». Laut Heim befand sich die amtliche Kartografie der Schweiz seit vielen Jahrzehnten auf einem Irrweg: Die Dufour- und Siegfriedkarten enthielten eine «Lüge», die «der Natur mit der Faust ins Gesicht» schlage. Heims scharfe Worte knüpften an eine jahrzehntealte Kontroverse an und bezogen sich auf die imaginäre Lichtquelle, die in Karten wirkt. Sie kann in rechtem Winkel von oben ‘herabscheinen’ (Vertikalbeleuchtung) oder ihr Licht schief auf die Karte werfen. In den amtlichen Karten der Schweiz hatte die Dufourkarte mit ihrer Beleuchtung aus Nordwesten den Kurs vorgegeben, was der Geologe zeitlebens als Fehler ansah. Doch womit begründete Heim seine Kritik an der Nordwestbeleuchtung?

Ein Plädoyer für die Südbeleuchtung

Die «grosse Mehrzahl der kartenbenützenden Menschen», so Albert Heim, verlange nach einem «in die Augen springenden Reliefbild der Berge». Eine schiefe Beleuchtung war auch für Heim der beste Weg, um einen plastischen Eindruck zu erreichen. Jedoch störte er sich daran, dass das Licht in fast allen Karten der Schweiz aus Nordwesten kam. Laut Heim widersprach dies der Realität, da die Sonne grossmehrheitlich von Süden her auf die Schweiz scheine: 

Mir geht es wie ein Stich durchs Herz: Die warmen Rebgelände und Dörfer auf der Sonnenseite des Walliser Haupttales, an der Nordseite des Lemansees, die viel Ackerbau treibenden, sonnigen Gehänge der Nordseite des Vorderrheintales sind in Schatten gebettet, die bewaldeten Gehänge der Schattenseiten dagegen sind in Sonnenglut gemalt.


In der Nordwestbeleuchtung sahen Albert Heim und andere Befürworter der Süd- oder Südostbeleuchtung einen «Fehler der Vergangenheit», den es zu beheben gelte. Das Kartenbild solle den natürlichen Verhältnissen entsprechen: Die Landestopografie müsse, so der Geologe, zu einer Beleuchtung aus südlicher Richtung übergehen und «den grossen Schritt von der verirrten Konvention zur Natur» machen.

Albert Heim hatte den Zeitpunkt seiner Intervention gut gewählt; in den 1920er Jahren befand sich das Kartenbild des ab 1935 erstellten Landeskartenwerks noch in der Ausarbeitungsphase. Es bot sich deshalb eine historische Möglichkeit, die Beleuchtungsrichtung in den amtlichen Karten der Schweiz zu ändern. Heims Bestrebungen waren jedoch – genauso wenig wie die Vorstösse anderer Vertreter der Südbeleuchtung wie des Ständerats Emil Klöti – nicht von Erfolg gekrönt. Kartografische und anwendungsorientierte Gegenargumente brachten die Landestopografie und das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) zum Schluss, dass die Beibehaltung der Nordwestbeleuchtung die beste Lösung war.

Warum sind Schweizer Karten aus Nordwesten beleuchtet?

Weil Albert Heim sein Plädoyer für die Südbeleuchtung von 1927 auch persönlich an hohe Militärs und Beamte der Landestopografie geschickt hatte, entwickelte sich in den Folgejahren ein Briefwechsel zum Thema. Der zentrale Diskussionspunkt war, warum sich Guillaume-Henri Dufour in den frühen 1840er Jahren für die Nordwestbeleuchtung entschieden hatte. Oder in Heims Worten: «Wie konnte man zu der Ungeheuerlichkeit kommen, die Sonne so zu verstellen?»

Laut dem Geologen war die Nordwestbeleuchtung der Dufourkarte aus der Arbeitsweise der Kartenzeichner und -stecher heraus entstanden. «Der mit der rechten Hand zeichnende Kartograph braucht das Licht von links oben vorne, damit nicht seine Zeichnerhand ihm seine Arbeit beschattet», so Albert Heim. Demnach hatte man in der Dufourkarte den Schattenwurf im Kartenbild dem realen Schattenwurf im Atelier nachempfunden. Daraus entstand laut Heim der «verhängnisvolle Missgriff» der Nordwestbeleuchtung.

Im Jahr 1931 reagierte Hans von Steiger (1859–1945) auf Heims Streitschrift. Von 1885 bis 1921 hatte er als Kupferstecher an der Landestopografie gewirkt, von 1921 bis 1929 war er ihr Direktor. Von Steiger widersprach Heims Behauptung, dass die Nordwestbeleuchtung allein aus arbeitspraktischer Bequemlichkeit gewählt worden sei: Zeichner und Stecher arbeiteten laut Steiger nicht an einem unverrückbar vor ihnen liegenden Objekt. Vielmehr mussten sie «Zeichnungsblatt u. Kupferplatte unzähligemal hin u. her drehen u. sich deshalb über die Lage der angenommenen Beleuchtungsrichtung stets Rechenschaft geben.» Heims Vermutung zum Ursprung der Nordwestbeleuchtung hielt der erfahrene Kupferstecher von Steiger deshalb für unplausibel: «Ich glaube nicht, dass die Beleuchtungsrichtung aus Nordwesten zufällig in die Karte gekommen ist, nur weil die damaligen Kartenzeichner – wie wir alle – gewöhnt waren, mit von links-vorne einfallendem Arbeitslichte zu zeichnen». Man müsse davon ausgehen, dass Guillaume-Henri Dufour als erfahrener Ingenieur durchaus «mit Überlegung gehandelt» habe.

Von Steiger vermutete, dass sich Dufour aufgrund der Beschaffenheit des Schweizer Reliefs für die Nordwestbeleuchtung entschieden hatte. Dufour war demnach bestrebt, die mehrheitlich nördlich des Alpenbogens gelegenen Hügel- und Voralpengebiete «in’s Licht u. nicht in den Schatten zu legen». Laut dem pensionierten Kupferstecher konnte eine Lichtquelle aus Nordwesten dies eher gewährleisten als eine aus südlicher Richtung.

LK_254_1941
Trotz Albert Heims Einwänden setzte man auch bei der Landeskarte auf die schiefe Nordwestbeleuchtung (Landeskarte 1:50 000, Blatt 254 "Interlaken", 1941 (Ausschnitt)).

 

Nordwestbeleuchtung in der Landeskarte

In den 1920er Jahren wurde die Beleuchtungsfrage – anders als Albert Heim in seiner Intervention suggerierte – auch an der Landestopografie ergebnisoffen diskutiert. Im April 1929 schickte das Amt ein Set von sieben Kartenproben an die Generalstabsabteilung, in denen die Nordwest- der Südostbeleuchtung gegenübergestellt wurde. Dass die Entscheidung schliesslich zugunsten der Nordwestbeleuchtung fiel, war auch einem praktischen Grund geschuldet: Um 1930 rechnete man damit, dass es mindestens zwanzig Jahre dauern würde, bis das Landeskartenwerk fertiggestellt sei. In dieser langen Übergangsphase waren Dufour-, Siegfried- und Landeskarte gleichzeitig in Gebrauch. Hätte das Relief der Landeskarte dank Südbeleuchtung ganz anders ausgesehen als in den Vorgängerkarten, wäre das parallele Arbeiten mit mehreren Kartenwerken erschwert worden. Weil sich Schweizer Kartenleser seit Jahrzehnten an die Nordwestbeleuchtung der Dufour- und Siegfriedkarten gewöhnt hatten, bestand zudem das Risiko, dass Landeskarten mit Südbeleuchtung intuitiv falsch herum gelesen würden. Schattenhänge wären also aus Gewohnheit fälschlicherweise als Südhänge und Sonnenhänge als Nordhänge gelesen worden, woraus sich eine Umkehrung des Reliefs ergeben hätte.

Schlussendlich gaben in der Beleuchtungsdiskussion der 1920er und 1930er Jahre also anwendungsorientierte Überlegungen den Ausschlag. Dies bestätigte auch der Bundesrat und damalige EMD-Vorsteher Rudolf Minger (1881–1955), als er im Juli 1935 in einem Brief an Albert Heim betonte, dass «die noch jahrzehntelang dauernde gleichzeitige Verwendung alter und neuer Karten gegen die Aenderung der Beleuchtung spricht.»


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