Ein Schweizer Topograf in der Bergwelt Perus
Im Jahr 1965 lief eine einzigartige Karte durch die Druckerpressen der Eidgenössischen Landestopografie. Im Stil der Schweizer Landeskarten zeigte sie einen besonders abgelegenen Teil der peruanischen Anden. Lesen Sie hier, wie es zur Karte «Panta» kam und was sie einzigartig machte.

Eine vierzehnköpfige Expedition des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) brach im April 1959 nach Peru auf. Hauptziel der elf Bergsteiger war es, mehrere Andengipfel erstmals zu erklimmen. Die Expedition sollte das abgelegene Gebiet aber auch wissenschaftlich erkunden: Ein Botaniker, ein Geologe und ein Topograf vervollständigten die Gruppe.
Beim Topografen handelte es sich um Ernst Spiess. Er war ein 28-jähriger Mitarbeiter der Eidgenössischen Landestopografie und wirkte Jahre später als ETH-Professor für Kartografie. Spiess’ Aufgabe war es, eine Karte des Exkursionsgebiets nördlich des Andengipfels Panta (5667m) zu erstellen. Bestehende Karten zeigten das Gelände nur skizzenhaft und ungenau. Spiess musste also kartografisches Neuland betreten.
Reise in unbekanntes Terrain
Im April 1959 traf die Gruppe des SAC in der peruanischen Hauptstadt Lima ein. Ernst Spiess’ Ziel, eine möglichst grosse Fläche der Anden möglichst genau zu kartieren, erhielt jedoch sogleich einen Dämpfer. Der Nationale Luftbilddienst Perus teilte ihm mit, dass keine Luftbilder des Panta-Gebiets existierten. Auch ein geplanter Bildflug sollte niemals stattfinden. Der Topograf war deshalb vollständig auf seine eigenen Messungen angewiesen, die er vom Boden aus vornahm.
Zwei Wochen Fussmarsch brachten die Schweizer und ihre peruanischen Helfer ins Expeditionsgebiet. Im Basislager angekommen, widmeten sich die Alpinisten und Wissenschaftler ihren Aufgaben. Die Bergsteiger schwärmten auf die zahlreichen Gipfel aus. Der Botaniker und der Geologe bewegten sich bald wieder in tiefere Lagen, um dort weiter zu forschen. Ernst Spiess hingegen schuf die Grundlagen für die Karte «Panta».
Topografische Handarbeit in den Anden
Als Erstes vermass Spiess eine sogenannte Basis – eine Strecke, deren Länge exakt bekannt war. Sie war 274 Meter lang und auf 12 Millimeter genau. Von den beiden Endpunkten der Basis aus peilte er mit einem Winkelmessgerät (Theodolit) die umliegenden Berggipfel an. Mit Dreiecksberechnungen ermittelte Spiess so ein ganzes Netz von Punkten mit bekannter Lage. Dieses Triangulationsnetz diente als Gerüst für die spätere Karte.
Besonders zeitintensiv war die Aufnahme von 360 Messbildern. Sie erfassten die Form und Beschaffenheit von zentralen Kartenelementen wie Gewässern, Bergen, Siedlungen oder Gletschern. Die Höhen bestimmte der junge Vermesser barometrisch. Er machte sich auf seinen Bergtouren also den Druckunterschied zwischen den Höhenlagen zunutze.
Für Höhenmessungen, Winkelbestimmungen und Messbilder musste Spiess tief in die Bergwelt der Anden vorstossen. Drei einheimische, quechuasprachige Jugendliche begleiteten ihn bei seiner abenteuerlichen Vermessungsarbeit. Sie lieferten ihm immer wieder wertvolle Informationen über die Ortsnamen der Gegend. Spiess bemühte sich darum, die Bezeichnungen in Quechua in Erfahrung zu bringen – er wollte der Sprache der indigenen Bevölkerung in seiner Karte Rechnung tragen.
Unersetzliche Glasplatten
Nach gut drei Monaten Feldarbeit in den Anden trat Spiess Mitte Juli 1959 den Heimweg an. Doch nicht nur der Topograf selbst, sondern auch seine auf Glasplatten gebannten Messbilder mussten wohlbehalten in die Schweiz gelangen.
Wohl am heikelsten war eine Flussüberquerung noch in Peru: «Bei Chaullay musste sämtliches Gepäck mit den unersetzlichen Glasplatten an einem wenig Vertrauen erweckenden Seil den breiten Rio Urubamba überqueren», so Spiess 2003 in der Fachzeitschrift Cartographica Helvetica.
Umso erleichterter war der Topograf, als alle Datenträger heil am Zielort angekommen waren: «Noch heute mutet es wie ein kleines Wunder an, dass die ganze Glaslieferung schliesslich unversehrt in Bern eintraf.»
Peruanische Anden im Schweizer Stil
An einem Gerät der Eidgenössischen Landestopografie (Stereoautograf) werteten Spiess und weitere Mitarbeiter des Amtes die Glasplatten aus. So entstanden die einzelnen Druckplatten für Objektarten wie Gewässer, Höhenkurven oder Vegetation. Diese aufwändigen Arbeiten erfolgten an der Landestopografie, waren aber durch den SAC finanziert.
1965 erschien die Karte «Panta» im grossen Massstab 1:25 000. Sie war in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Spiess’ Werk zeigte ein zuvor unkartiertes Gebiet in hoher Genauigkeit und Detailtreue. Auf ihre Schweizer Betrachtenden wirkte die Karte sowohl vertraut als auch exotisch: Im Stil der Schweizer Landeskarten zeigte sie eine ferne Bergregion. Dies ermöglichte einen direkten Vergleich von Alpen und Anden. Insbesondere für Gletscherforscher lag darin ein äusserst nützlicher Aspekt der Perukarte.
Bemerkenswert war aber auch die Entstehungsweise der Karte «Panta». Zu einer Zeit, als die Eidgenössische Landestopografie bereits vollständig auf Luftbilder setzte, musste Ernst Spiess die Messbilder vom Boden aus aufnehmen (terrestrische Fotogrammetrie). Die fehlende Unterstützung der peruanischen Behörden liess ihm keine andere Wahl. Mehr als das: Spiess und seine peruanischen Helfer schufen mit Basismessung, Triangulation und Messbildern die Grundlagen für das gesamte Kartenblatt im Alleingang.
Das Resultat dieser Knochenarbeit in dünner Bergluft war ein einzigartiges Kartenblatt, das Alpen und Anden einander näherbrachte.
Links
Bundesamt für Landestopografie swisstopo
Seftigenstrasse 264
3084 Wabern








