"Die Solidarität war überwältigend."
Überschwemmungen, Erdrutsche, abgeschnittene Dörfer: Das Unwetter im Maggiatal Ende Juni 2024 forderte sieben Menschenleben und stellte die Einsatzkräfte vor enorme Herausforderungen. Eleonora Pedrini-Pedroli und Mattia Soldati vom Krisenstab des Kantons Tessin blicken zurück.
Ende Juni 2024 kam es bei Unwettern im Maggiatal zu Überschwemmungen und Erdrutschen. Täler waren abgeschnitten, sieben Menschen starben. Sie sind beide im Krisenstab des Kantons Tessin. Wie gingen Sie vor?
Eleonora Pedrini-Pedroli: Eleonora Pedrini-Pedroli: Anders als beispielsweise bei Covid, wo ein kantonaler Krisenstab eingesetzt wurde, ist bei einem solchen Ereignis der regionale Krisenstab verantwortlich. Dieser wird von der Tessiner Polizei geführt. Auch die Gemeinden, der Zivilschutz und die verschiedenen Rettungsorganisationen sind Teil des Gremiums. Beim Unwetter Ende Juni war die Lage unübersichtlich; anfangs fehlte ein klares Lagebild. Besonders herausfordernd war, dass viele Einsatzkräfte Familie und Freunde in den betroffenen Gebieten hatten.
Mattia Soldati: Ich hatte erst am Tag nach dem Unwetter wieder Dienst. Der Krisenstab hatte zu diesem Zeitpunkt einen besseren Überblick über die Situation und bereits konkrete Massnahmen ergriffen. Wir erhielten genaue Anweisungen. Eine unserer ersten Aufgaben war es, die Schäden auf den Kantonsstrassen zu beheben und die digitalen Daten dem Krisenstab zur Verfügung zu stellen.
Der Krisenstab hatte am Sonntag beim Bund einen Rapid-Mapping-Einsatz beantragt, also die schnelle Erfassung von Luftbildern für die anschliessende Erstellung von Lagekarten. Was gab den Ausschlag dafür?
Eleonora Pedrini-Pedroli: Eine Woche vor dem Unwetter im Maggiatal hatten Regenfälle im bündnerischen Misox Murgänge und Überschwemmungen ausgelöst, auch dort gab es Todesopfer. An jenem Ort hatten die Behörden die Rapid-Mapping-Dienstleistung des Bundes in Anspruch genommen. Ein Mitarbeiter des Büros für Geomatik machte mich darauf aufmerksam, dass dieses Verfahren ihnen geholfen hatte, schnell einen Überblick zu gewinnen und die Bewältigung besser zu organisieren. Ich wusste also, dass ich mich im Notfall an das Bundesamt für Umwelt wenden kann. Wir haben am Sonntagmorgen die Pikettnummer des BAFU angerufen, bereits am Mittag flog swisstopo mit einem Helikopter für die Bilderfassung über das Gebiet. Am Abend lagen die ersten Bilder vor.
Was war auf diesen Bildern zu sehen?
Eleonora Pedrini-Pedroli: Wir erhielten einen Überblick über das Ausmass der Zerstörung. Wir konnten erkennen, wie gross die überschwemmten Gebiete sind und wo genau es zu Erdrutschen gekommen war. Anhand der Bilder liess sich eruieren, wo Häuser zerstört und Autos überschwemmt wurden und wo sich noch Menschen befinden könnten.
Mattia Soldati: Auch war ersichtlich, an welchen Stellen im Fluss noch Material blockiert war, das weitere Überschwemmungen verursachen könnte. Später wurden durch swisstopo weitere hochaufgelöste Luftbilddaten für die Ereignisbewältigung und -dokumentation bereitgestellt, welche den Vergleich vor und nach dem Ereignis noch vereinfachten.
Gibt es Verbesserungsvorschläge, die den Einsatz noch effizienter gestalten könnten?
Mattia Soldati: Es wäre ideal gewesen, wenn swisstopo uns ein digitales Höhenmodell, also eines in 3D, zur Verfügung gestellt hätte. Ein solches wäre auch langfristig eine grosse Unterstützung, zum Beispiel bei der Aktualisierung der Gefahrenkarte der betroffenen Gebiete.
Eleonora Pedrini-Pedroli: Ich glaube, vielen ist noch nicht bewusst, dass jede Gemeinde und jeder Kanton bei Naturereignissen ein Rapid-Mapping-Einsatz anfordern kann. Es wäre wünschenswert, diese wertvolle Dienst-leistung breiter bekannt zu machen. Wichtig ist dabei auch, zu erwähnen, dass keine zusätzlichen Kosten für die betroffenen Gemeinden und Kantone anfallen.
Zur Person
Eleonora Pedrini-Pedroli gehört seit 16 Jahren dem Tessiner Zivilschutz an und ist dort für die Lagebeurteilung und die Triage zuständig. Sie hat zunächst an der Universität Lausanne ein Masterstudium in Soziologie und Kriminologie absolviert. Vor Kurzem erwarb sie zudem einen Master in Angewandter Informations- und Datenwissenschaft and der Hochschule Luzern. Sie lebt in der Nähe von Locarno.
Mattia Soldati ist Forstingenieur beim Forstamt des Kantons Tessin und koordiniert den kantonalen Lawinendienst. Er betreut unter anderem die Überwachung der Gletscher im Tessin. Ausserdem verantwortet er die Messungen sowie die Frühwarnsys-teme des Forstdienstes. Er hat an der Berner Fachhochschule in Zollikofen ein Forstingenieurstudium abgeschlossen und wohnt im Verzascatal.
Weitführende Inhalte

Rapid Mapping
Rapid Mapping ist eine Dienstleistung des Bundes zur zeitgerechten Erhebung und Bereitstellung von Geodaten (z. B. Luft- oder Satellitenbilder) für die Ereignisbewältigung und –dokumention im Fall von Naturereignissen. Die zuständigen Stellen auf allen föderalen Stufen (Bund, Kantone, Gemeinden) werden bei der Beurteilung und Dokumentation der Auswirkungen von Naturereignissen aktiv unterstützt.
Rapid Mapping Einsätze 2024
Für die Dokumentation und Bewältigung dieser Ereignisse 2024 wurden zwischen dem 21.06.2024 und dem 02.07.2024 4 Rapid Mapping Einsätze ausgelöst. Für den Tessin sind die entsprechenden Rapid Mapping Produkte über folgende Links dargestellt.
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Sicherheit geht weit über den militärischen Bereich hinaus. Sie umfasst Themen wie die Prävention von Naturgefahren, die nachhaltige Bewirtschaftung und Versorgung mit Ressourcen, die Sicherung des Grundeigentums, die Stabilität von Infrastrukturen sowie die Information der Bevölkerung. Und in all diesen Bereichen spielen Geodaten eine zentrale Rolle.


