Die Grenze der Schweiz– Mehr als eine Linie auf der Landkarte
Die Landesgrenze wirkt unverrückbar und markiert den Geltungsbereich von Gesetzen und Zuständigkeiten. Doch Naturgewalten oder Bauprojekte erfordern immer wieder Anpassungen des Grenzverlaufs. Solche Änderungen geschehen nicht willkürlich, sondern sind Teil eines diplomatischen Prozesses, der zur Stabilität der Schweiz beiträgt.
Es geschah am Wiener Kongress 1815: Hinter dicken, verschlossenen Türen wurden die Grenzen Europas neu gezogen. Die Schweiz verlor das Veltlin, Chiavenna, Bormio und Mülhausen, erhielt dafür aber das Gebiet der heutigen Kantone Neuenburg und Jura sowie das Fricktal, Rhäzüns, Tarasp und einige Gemeinden rund um Genf. Solche einschneidenden Veränderungen des Schweizer Staatsgebiets blieben seither aus – doch die Schweizer Grenze ist stets in Bewegung und erfordert immer wieder neue Anpassungen.
Dies geschieht jedoch nicht einfach nach Gutdünken. Denn eine Grenze ist viel mehr als eine Linie auf der Landkarte: Sie bestimmt auch, wo welche Regeln gelten, wer für Infrastruktur und Sicherheit zuständig ist und an wen die Steuereinnahmen gehen. Oder um es in den Worten von swisstopo-Direktor Fridolin Wicki auszudrücken: «Eine Landesgrenze ist die Abgrenzung des Hoheitsgebiets; ab hier ändert sich das Recht.» Genau deshalb müssen sich die Schweiz und ihre Nachbarländer regelmässig mit Fragen des Grenzverlaufs auseinandersetzen – sei es wegen natürlicher Veränderungen oder Bauprojekten, die einen Gebietsabtausch erfordern.
Eine Landesgrenze ist die Abgrenzung des Hoheitsgebiets; ab hier ändert sich das Recht.
Ein ständiges Verhandeln
Mit diesen Fragen befasst sich Alain Wicht täglich. Als Beauftragter für die Landesgrenze bei swisstopo kennt er die 1935 Kilometer lange Grenze wie seine Westentasche. Er vermisst Grenzsteine, reinigt sie und färbt sie neu ein. Regelmässig ist er entlang der Grenze unterwegs, erklimmt abgelegene Gipfel, durchquert dichte Wälder, um die unsichtbaren Linien sichtbar zu machen, die die Schweiz von ihren Nachbarländern trennen. Neben seiner Arbeit im Gelände empfängt er auch regelmässig Delegationen oder reist ins benachbarte Ausland, um Fragen bezüglich des Grenzverlaufs zu diskutieren.
Verantwortlich dafür sind verschiedene Faktoren. Als häufigste Ursachen für die Veränderung des Grenzverlaufs nennt Wicht den Klimawandel und Naturereignisse. Ganz besonders seien die Auswirkungen des veränderten Klimas auf die Schweizer Grenze in grossen Höhenlagen zu sehen. Ein solcher Fall ereignete sich beispielsweise an der schweizerisch-italienischen Grenze am Furggsattel oberhalb von Zermatt: Nachdem sich der Theodulgletscher zurückgezogen hatte, stellte sich bei einer Messung heraus, dass es zwischen der einstigen Wasserscheidelinie auf dem Gletscher und der heutigen Linie, die auf dem Fels verläuft, eine Abweichung von 150 Metern gab. Die Grenze musste also angepasst werden, «mit der Folge, dass sich die dortige Seilbahnstation seither auf Schweizer Gebiet und nicht mehr in Italien befindet», sagt Wicht. Dieses Beispiel zeigt, dass mit der Verschiebung einer Grenze nicht nur geografische, sondern auch hoheitliche Fragen geklärt werden müssen. Wer trägt die Verantwortung für die Infrastruktur, etwa für den Unterhalt der Station? Welches Land erhebt die Steuern auf den erwirtschafteten Einnahmen? Und nicht zuletzt: Wer ist im Notfall für die Bergrettung zuständig?
Souveränität des Landes
Nicht nur schmelzende Gletscher können eine Neudefinition der Grenze erforderlich machen – auch plötzliche Naturereignisse spielen eine Rolle. Ein vergleichsweise aktuelles Beispiel ist an der schweizerisch-österreichischen Grenze zu finden: Am Fluchthorn waren im Juni 2023 rund eine Million Kubikmeter Gestein abgebrochen. Nicht nur war der Südgipfel nach dem Bergsturz 18 Meter weniger hoch als zu zuvor, auch der Grenzstein, der auf dem Grat platziert war, ging verloren. «Auch hier fordert die Natur die territoriale Souveränität der beiden Staaten heraus», erklärt Alain Wicht. Solche Anpassungen erfordern jedoch klare Regeln und Absprachen zwischen den betroffenen Staaten. Mit jedem Nachbarland besteht ein Abkommen, das die Kontrolle und den Unterhalt der Grenze regelt. Muss der Grenzverlauf neu festgelegt werden, befasst sich eine Kommission unter der Leitung von swisstopo damit. Dieser gehören auf Schweizer Seite zusätzlich Vertreterinnen und Vertreter des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, der Eidgenössischen Zollverwaltung sowie die Kantonsgeometerinnen und -geometer der angrenzenden Kantone an. «Unsere Arbeit beinhaltet auch immer viel Diplomatie», sagt Wicht.
Das gute Verhältnis pflegen
Diplomatisches Gespür ist ganz besonders gefragt, wenn ein Bau- oder Verkehrsprojekt eine Anpassung der Grenze erfordert. Da keinem Staat das Recht zusteht, Gebiete eines anderen Staats zu beanspruchen, müssen bei solchen Anpassungen jeweils gleich grosse Flächen ausgetauscht werden. So zum Beispiel, als in den 1950er-Jahren der Flughafen Genf-Cointrin vergrössert wurde. 1955 einigten sich die Schweiz und Frankreich auf einen Abtausch von 40 Hektaren Land, wobei die direkt betroffene Gemeinde Ferney-Voltaire zuerst Widerstand geleistet hatte. Frankreich erhielt auf dem Flughafengelände einen eigenen Sektor und eine daran anschliessende Zollfreistrasse. Im darauffolgenden Jahr wurde der entsprechende Staatsvertrag unterzeichnet und später ratifiziert.
Ein Projekt, das swisstopo im Moment beschäftigt, ist die geplante Umfahrungsstrasse bei Allschwil im Kanton Basel-Landschaft. Ein Teil der Strasse würde künftig über französisches Staatsgebiet führen. Eine Situation, die der Bund aus hoheitlichen Gründen vermeiden will. Gespräche für einen Landabtausch zwischen Frankreich und der Schweiz sind im Gang. Ein Prozess, der oft langwierig ist und von kulturellen Unterschieden sowie politischen Gegebenheiten beeinflusst wird. Auch wenn auf den ersten Blick nur die Schweiz von der Umgehungsstrasse profitiert, könnte sie auch Pendler aus dem Elsass entlasten. «Solches gilt es aufzuzeigen», sagt Alain Wicht. Die ersten Gespräche mit französischen Behörden und Grenzkommissionen verliefen positiv. Wicht betont, wie wichtig es ist, sich die nötige Zeit zu nehmen und das gute Verhältnis zu den Nachbarn zu pflegen. «Schliesslich streben wir Lösungen an, die nicht nur im Moment, sondern auch langfristig stabile und faire Beziehungen mit unseren Nachbarn sicherstellen.»
Schliesslich streben wir Lösungen an, die nicht nur im Moment, sondern auch langfristig stabile und faire Beziehungen mit unseren Nachbarn sicherstellen.
Auch künftig in Bewegung
Die Aussengrenze der Schweiz wird auch künftig in Bewegung bleiben. Es werde immer wieder Fälle geben, die eine Anpassung des Grenzverlaufs nötig machen werden, sagt swisstopo-Direktor Fridolin Wicki. «Wir werden auch weiterhin die Gespräche mit den Nachbarländern führen und die technischen Mittel zur Verfügung stellen, um dies zu ermöglichen.» Alain Wicht wird also auch in Zukunft in schwer zugänglichem Gelände unterwegs sein und Grenzsteine richten, um sich am nächsten Tag mit ausländischen Delegationen zu treffen. Er sagt: «es ist ein Privileg – für mich, aber besonders für die Schweiz, wenn man mit den Nachbarn so gut zusammenarbeitet.»
Inhaltsverzeichnis
Geografie und Verantwortung
Die Schweizer Aussengrenze misst 1935 Kilometer. Rund zwei Drittel davon sind natürliche Grenzabschnitte. Natürliche Grenzen entstehen durch geografische Gegebenheiten wie Flüsse, Seen oder Gebirgskämme. In den Alpen bildet die Wasserscheidelinie, also der Bergkamm, die Grenze. Das Bundesamt für Landestopografie ist als Fachstelle des Bundes verantwortlich für die vermessungstechnische Nachführung und den Unterhalt der Landesgrenze in Absprache und in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Nachbarländern.
Weitführende Inhalte
Die Landesgrenzen der Schweiz
Als Landesgrenze wird die Aussengrenze des Hoheitsgebietes der Schweiz bezeichnet. Diese wird in Übereinstimmung mit den fünf Nachbarstaaten festgelegt, vermessen und unterhalten.
Unsere Grenzen verändern sich
Grenzen gelten gemeinhin als feststehend. Je nach Lage im Gelände unterliegen sie jedoch Klimaveränderungen und Naturereignissen, sodass sich ihr Verlauf verändern kann.

Zwischen Linien und Vielfalt: Die Grenzen der Schweiz entdecken
Karten sind mehr als nur praktische Hilfsmittel, um sich zu orientieren. Sie sind Spiegelbilder unserer Welt, die (Landes-)Grenzen sichtbar machen – von der globalen Ebene bis hin zu lokalen Details. In der Schweiz gibt es viele schöne Wandergebiete, die in Grenznähe liegen.
Podcast «Grenzgeschichten»
Sie ist beweglicher als gemeinhin angenommen; unsere Landesgrenze. Die neue Staffel des Podcasts swisstopo historic bespricht spannende Fälle von Grenzbereinigungen mit unseren Nachbarländern.
Folio 2025 – Für eine sichere Schweiz
Sicherheit geht weit über den militärischen Bereich hinaus. Sie umfasst Themen wie die Prävention von Naturgefahren, die nachhaltige Bewirtschaftung und Versorgung mit Ressourcen, die Sicherung des Grundeigentums, die Stabilität von Infrastrukturen sowie die Information der Bevölkerung. Und in all diesen Bereichen spielen Geodaten eine zentrale Rolle.











